LYNX: Leder, Kink & BLM: Ein Standpunkt

LYNX: Leder, Kink & BLM: Ein Standpunkt

von Recon News

06 Juli 2020

In diesem Artikel spricht Lynx alias LeathermanLynx über seine Erfahrungen als POC, von seiner Kindheit bis hin zur Gegenwart. Er erforscht die BLM-Bewegung und wie das Schwarzsein seine Interaktionen innerhalb der Lederkultur prägt.

Ich erinnere mich noch an einen meiner ersten Jobs als Teenager. Ich war 15 Jahre alt und Pizzabäcker für eine kleine Ladenkette in McComb, Mississippi, die sich Pizza Inn nannte. Da ich im tiefsten Süden lebe, ist es ganz normal (aber nie aktiv laut ausgesprochen worden), dass ein schwarzer Junge mit rassistischen Witzeleien oder passiv-aggressiven Anspielungen konfrontiert wird, um ihn, also mich, an " meine Stellung" in der Gesellschaft zu erinnern. Schließlich passierte das im Süden Mississippis und seit dem Ende des Bürgerkriegs hatte sich nicht viel geändert - zumindest nicht in der Gegend, in der ich lebte. Doch bis zu meinem 15. Lebensjahr hatte ich das nicht direkt persönlich miterlebt.

Es gab sowohl aktive Mitglieder der Kirche als auch lokal gewählte Politiker in meiner unmittelbaren Familie, in dem Haus, in dem ich eigentlich lebte, die sich dementsprechend verhielten - so omnipräsent waren sie. Aus diesem Grund wuchs ich mit ganz bestimmten Verhaltensregeln für die Öffentlichkeit auf, denn wir wussten nie, wer zuschaute und wie sich das, was sie sahen, auf unsere Familie auswirken konnte. Das alles änderte sich mit meiner ersten bewussten Begegnung mit Rassismus. Später entstanden daraus spezifische Regeln, wie man sich verhalten sollte... um am Leben zu bleiben.

An einem arbeitsreichen Abend wurde ich darum gebeten, eine Bestellung zu einem Auto mit Leuten zu bringen, die darauf warteten, ihre Pizzen abzuholen. Ich brachte die Kartons zu ihrem Auto und machte mich auf den Weg zurück ins Restaurant. Auf dem Rückweg hörte ich eine Stimme aus einem Ford Pickup, die mir zuflüsterte: "Hey SPOOK! Zuerst konnte ich nicht verstehen, was gesagt wurde, denn das ist ja nun mal nicht mein Name. Er sagte es noch einmal, diesmal eindringlicher: "Hey SPOOK, antworte mir, wenn ich mit dir spreche!". Ich schaute zu ihm hinüber und sagte: "Redest du mit mir? Tut mir leid, drinnen ist wirklich viel los und ich versuche, meine Aufträge abzuarbeiten."

Was dann passierte, hätte mich eigentlich zu Tode erschrecken müssen, aber so naiv und beschützt wie ich aufgewachsen war, traf es mich erst, als ich es meiner Chefin, Miss Beverly, erzählte.

Er schaltete seinen Motor ein, zückte so etwas wie eine Klinge und sagte: "Komm gut nach Hause".

Ich ging wieder hinein und erzählte Miss Beverly, was gerade geschehen war. An ihren Gesichtsausdruck kann ich mich noch heute erinnern. Sie hatte schreckliche Angst. Sie nahm mich mit ins Büro, setzte mich hin und rief meine Mutter an. Sie kam in die Pizzeria und alle stellten tausend Fragen, eine nach der anderen. Beide erklärten mir, was bei diesem Wortwechsel wirklich geschah und meine Mutter – wie sie nun mal ist - sagte Miss Beverly, dass ich nicht mehr zur Arbeit zurückkehren würde. Ich war wütend... mit 15 konnte ich ihre Entscheidung, mich zu Hause zu behalten, nicht verstehen, geschweige denn sie begreifen... 25 Jahre später denke ich oft über diesen Moment nach. Ich kann mich glücklich schätzen, denn ich lebe noch, um diese Geschichte zu erzählen - aber so viele eben nicht.

Gerade jetzt befindet sich die Welt inmitten einer globalen Diskussion und fordert fieberhaft nach Veränderungen. Die "Black Lives Matter"-Bewegung hat ein Licht auf das geworfen, was mit den POC auf der ganzen Welt geschieht. Für manche ist es ein unbequemes Gespräch. Das sollte es auch sein. Historisch gesehen stand die "Bequemlichkeit" des Lebens der Schwarzen nie im Vordergrund der menschlichen Interaktion, insbesondere nicht in den über 401 Jahren des systematischen Rassismus hier in den Vereinigten Staaten. Gleichzeitig lassen POC auf der ganzen Welt immer noch ihre Stimmen laut werden – sie machen deutlich, dass sie nicht respektvoll behandelt werden. Das heißt, dass wir unser Leben genauso wertgeschätzt sehen wollen wie das Leben aller anderen.

Ja, Schwarze Leben zählen.

Es gibt zahlreiche Standpunkte zu dieser Diskussion - aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet eben. Ich möchte in diesem Beitrag den Rahmen etwas eingrenzen und über die BLM sprechen und zwar im Hinblick auf unsere Gemeinschaft und die Lederkultur.

Die Ledergemeinde in den Vereinigten Staaten ist sehr groß, vielfältig und facettenreich - besteht aber hauptsächlich aus weißen Männern. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Person mit schwarzer oder brauner Hautfarbe eine Ausnahme bildet in einer Lederbar oder wenn sie an einer Leder/KINK-Veranstaltung teilnimmt. Allein schon diese Tatsache stellt für die Menschen, die in einer Umgebung voller Menschen mit gleichen Interessen in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung ihren Platz finden wollen, eine ganz eigene Art von Angst vor ihrer eigenen Sexualität dar. Vergiss die Nervosität, die mit dem Spielen mit einem neuen Partner oder mit einer ungewohnten Spielart einhergeht; allein schon das Betreten eines Raumes kann uns in Angstschweiß versetzen.

Übrigens ist es eine enorme Gefahr, einer der wenigen POC in einem Raum mit Leder-Fetischisten zu sein, der der Fetischisierung unserer Hautfarbe ausgesetzt ist. Mit anderen Worten, man nähert sich uns - nicht, weil wir ganz eigene Individuen sind oder weil unser Verstand zusätzlich zu unserer Ästhetik auch noch attraktiv ist - sondern einfach, weil unsere Haut nur schwarz oder braun ist. Lasst uns das klarstellen... Das. Fühlt. Sich. Beschissen. An. Als Objekt und nicht als lebende, atmende, existierende Person gesehen zu werden, trifft uns tief im Innersten. Es sticht auf eine Art und Weise, die ich nicht ganz genau erklären kann. Schwarze Menschen sind mehr als nur unsere Haare, Hautfarbe oder der vermeintliche "BBC". Wenn dies etwas ist, das man nur schwer verstehen kann, sollte man eine Person of Colour finden und sie diesbezüglich fragen... ohne sich währenddessen auszuziehen.

Ich würde gerne glauben, dass die Leder/KINK-Gemeinschaft aufgrund ihrer eigenen Geschichte das wahrgenommene " Anderssein " mehr "akzeptiert". Wenn wir auf das Amerika der 1960er und 1970er Jahre blicken, waren einst die Lederleute und diejenigen mit ähnlichen radikal sexuellen Interessen "die anderen". Im Laufe der Zeit hat sich unsere Kultur und die Gemeinschaft von den verruchten Orten und "kritischen" Missverständnissen der Betrachter und Nichtinvolvierten gelöst und Platz neben unseren "Vanilla"-Geschwistern gefunden. Und zwar so, dass die Popularität von Lederbekleidung und der Kultur Eingang in den Mainstream gefunden hat - die Buch- und Filmreihe "Fifty Shades" ist ein Paradebeispiel dafür.

Darüber sollte man definitiv nachdenken. Einst wurde Leder angesehen als Kleidung, die ausschließlich von „den anderen" getragen wurde – es sollte also eigentlich relativ einfach sein, sich mit jemandem zu identifizieren, der sich ebenfalls als „anders" von der Gesellschaft angesehen wird – und dennoch stehen wir vor diesen Problemen. Nach wie vor. Erwähnenswert ist weiterhin, dass damals POC keinen Zutritt zu den Lederbars hatten, die zu der Zeit entstanden, um sich selbst als Szene zu feiern. Wir mussten in dunklen Gassen oder unter Brücken spielen, um uns zu amüsieren, wobei wir Verhaftungen oder Schlimmeres riskierten, je nachdem, welche Beamten die Handlungen entdeckten. Gelegentlich hielten einige unserer weißen Brüder oder Schwestern Leder-Zusammenkünfte in ihren Häusern ab und wenn wir bekannt oder sehr heiß waren (oder "Glück" hatten), wurden wir auch dazu eingeladen…

Wir befinden uns an einem bedeutenden Wendepunkt in unserem globalen Dialog über die Beziehungen zwischen den Völkern und es läuft in am Ende auf ein paar einfache Fragen hinaus. Sind wir Euch... überhaupt wichtig? Wo ist die Handlungsbereitschaft bei Eurer Fürsorge? Wenn Deine Geschichte geschrieben wird, mit Deinem zusammengefassten Leben und diese Geschichte dann erzählt wird - wirst Du dann stolz auf das sein, was über Dich berichtet wird?

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